Ich war 5 Wochen in einem Krankenhaus in Nordschweden und durfte dort die Ärzte, ATler (das schwedische Äquivalent zu den PJlern), Physios und Krankenschwestern bei ihrem Arbeitsalltag begleiten.
Da es ein recht kleines Krankenhaus ist (knapp 60 Betten), wurde in der Morgenbesprechung, die um 7:30 begann, jeder interessante Fall oder Neuzugang besprochen, ggf wurden Bilder oder Labore besprochen und das weitere Vorgehen beratschlagt.
Danach ging es dann auf die Stationen. Da ich nicht fest in den Stationsablauf eingeplant war, konnte ich im Prinzip auf jede Station gehen und dort mit jemandem mitlaufen. Ich durfte auch Patienten untersuchen, BGAs abnehmen usw., jedoch war mein Schwedisch nicht so gut als dass ich alleine Patienten hätte behandeln können.
Über was ich sehr angenehm überrascht war, war dass mich jeder, egal ob "Överläkare" (etwas zwischen Chefarzt und Oberarzt) oder ATler auch gerne mitgenommen hat und mir aller erklärt hat. Die starre Hierarchie, die man aus vielen Krankenhäusern hier zu Lande kennt, gab es in Kalix nicht. So habe ich in meiner Zeit dort eigentlich alle Stationen durchlaufen, war in den Ambulanzen mit dabei oder mit den Allgemeinmedizinern und auch mit den Kinderkrankenschwestern auf Hausbesuch. Am Anfang war ich zwar noch etwas unsicher, da ich so viel "Entscheidungsfreiheit" gar nicht gewohnt war, aber mit der Zeit fragte ich einfach, ob ich bei jemandem mitlaufen konnte oder früher von Station gehen konnte, um zu Hause noch etwas nachzuarbeiten.
Ich bin nachhaltig von der tollen Arbeitsatmosphäre und dem netten Umgang miteinander beeindruckt. Ich habe vor meinem Studium als Krankenschwester gearbeitet, also war ich ein ganz anderes Klima auf Station gewöhnt.
Mindestens einmal die Woche gab es eine Fortbildung zu den verschiedensten Themen über Skype mit anderen Krankenhäusern, welche auf einer Leinwand in einem Konferenzraum übertragen wurde. Dazu kamen hausintern Fortbildungen am Nachmittag, die von den Fachärzten abgehalten wurden, wie zum Beispiel EKG befunden oder es wurden die Neuigkeiten von einem internationalem Neurologiekongress vorgetragen und besprochen. Einmal die Woche gab es ein Treffen auf Station, bei dem die Patienten von den für sie zuständigen Krankenschwestern sowie Therapeuten durchgesprochen wurden.
An was ich mich zugegebener Maßen gewöhnen musste, war der vergleichbar entspannte Arbeitsrhythmus. Vielleicht liegt es an der Größe des Krankenhauses oder es ist einfach die allgemeine schwedische Arbeitseinstellung, aber es war schön zu sehen, dass selbst bei voll belegter Station oder voll besetztem Wartezimmer immer noch Zeit für eine ausführliche Erklärung und einen Kaffee gab. Auch Mittags genügend Zeit für ein Mittagessen zu haben, war recht neu für mich. Ich musste als Praktikantin nichts bezahlen und das Essen dort im Casino war wirklich sehr gut.
Auch das Arzt-Patienten-Verhältnis ist anders als in Deutschland. Man duzt sich und genauso wie es keine wirkliche Hierarchie zwischen den Mitarbeitern des Krankenhauses gab, so war auch das Arzt-Patienten-Verhältnis mehr auf einer Ebene.
Jetzt vielleicht noch ein paar Worte zu der Stadt Kalix. Es ist ein recht verschlafenes Nest 50 km südlich von der finnischen Grenze und liegt an einem breiten Fluss. Die nächsten größeren Städte sind Haparanda, die Grenzstadt zu Finnland, und Luleå. Da ich recht gerne in der Natur unterwegs bin, bin ich hier voll auf meine Kosten gekommen. Jeder, der abends oder am Wochenende (welches ich immer frei hatte) feiern gehen möchte, wird hier wohl vergeblich nach einer Clubszene suchen. Es fahren zwar Busse nach Luleå, jedoch nicht wirklich häufig und man ist auch gut eine Stunde einfach unterwegs. Dafür fanden am Wochenende Ice Hockey Spiele statt, zu denen ich mit Kollegen aus dem Krankenhaus gegangen bin. Weiter gibt es noch eine Bowling Bar, die ich empfehlen kann und eine Hotelbar, in der man auch recht gut das ein oder andere Bier trinken kann.
Mein Fazit zu der Zeit in Schweden: Es war eine einmalig gute Gelegenheit, gleichzeitig das schwedische Gesundheitssystem kennen zu lernen, von dem man immer so viel Gutes hört, und sehr viel zu lernen. Mir wurden alle Fragen ausführlich beantwortet, ich konnte überall mitgehen und wurde von jedem freundlich aufgenommen und hatte zu keiner Zeit das Gefühl, jemandem zur Last zu fallen. Ich konnte neben meiner Zeit im Krankenhaus viel Sport machen und werde auf jeden Fall nicht das letzte Mal dort gewesen sein!
Was ich nur jedem raten würde, der genau wie ich unbedingt eine Zeit lang nach Schweden möchte: schwedisch gut zu können ist ein absolutes Muss, da waren meine Sprachkenntnisse auch etwas zu dürftig. Genauso muss man sich dort oben auch darauf einstellen, dass die Abende zu Weilen auch einmal lang werden können, wenn man sich dazu entscheidet, alleine dort hin zu gehen.
Bewerbung
Ich habe mich bei sehr, sehr vielen schwedischen Krankenhäusern beworben. Leider bekam ich auf fast keine meiner Bewerbungen eine Reaktion. Was ich allerdings mit der Zeit herausfand, war, dass es erstens eine Art "Famulatur", wie wir sie kennen, in Schweden nicht gibt und mir wahrscheinlich deswegen viele nicht geantwortet hatten. Zweitens ist im Sommer ein Großteil des Klinikpersonals im Urlaub und man erreicht deshalb dann auch eher schwieriger jemanden.
Am Schluss bekam ich von dem Krankenhaus in Luleå den Tipp, mich doch an die Klinikleitung in Kalix zu wenden. Diese hat mir auch umgehend geantwortet, dass sie sich sehr freuen würde, mich bei ihnen begrüßen zu dürfen. Das war etwa ein Jahr, bevor ich die Famulatur begann.
Danach belegte ich zwei Sprachkurse an der VHS und einen Intensivsprachkurs in Stockholm, da mir einer der Överläkare in Kalix, der vor einigen Jahren aus Österreich nach Kalix ging und die Zeit vor und während meiner Famulatur über als meine Ansprechperson fungierte, riet so viel Schwedisch wie möglich zu lernen. Am Ende war ich sehr froh, da ich anders wohl nicht so viel hätte lernen können.
Die Wohnung, die in Gehnähe zum Krankenhaus lag, bekam ich von der Klinik gestellt, genauso wie das Mittagessen und die Kleidung.