Im September 2020 absolvierte ich für zwei Wochen eine Famulatur in der Orthopädie. Als Krankenhaus wählte ich das St. Nikolaus-Hospital in Eupen, Belgien.
Wieso ausgerechnet in Eupen?
Ich wollte wieder einmal ins Ausland, eine andere Kultur kennenlernen, in einem anderem Gesundheitssystem arbeiten, etwas Neues erleben. Aufgrund der Corona-Pandemie und mangelhaften Fremdsprachenkenntnisse standen mir nicht viele Optionen offen. Per Zufall erfuhr ich, dass in Belgien die sog. Deutschsprachige Gemeinschaft existiert. Die DG ist die kleinste der drei politischen Gemeinschaften und umfasst etwa 78.000 Einwohner. Ich nahm an, dass die Kommunikation mit Ärzten, Pflegern und Patienten reibungslos funktionieren würde. Naja, diese Annahme stellte sich als Irrtum heraus :D Während meines Aufenthaltes lernte ich einiges über den institutionellen Aufbau des Landes sowie den flämisch-wallonischen Konflikt. Dies alles sind keine abstrakten politischen Themen, sondern ziehen Konsequenzen im Krankenhausalltag nach sich.
Arbeitsbedingungen:
Die Operationen beginnen um etwa 8:15 Uhr und enden meistens zwischen 18 und 19 Uhr. An einem Tag stand ich sogar bis 20 Uhr im Saal. Auch die beiden Tage, an denen ich in der Sprechstunde saß, gingen bis 18 Uhr. Ich konnte jeden Tag zu Mittag essen, manchmal aber recht hastig. Diejenigen Studenten, die irgendeinem chirurgischen Bereich zugeordnet sind, müssen die Bereitschaftsdienste für die gesamte Chirurgie unter sich aufteilen. Das heißt, der Chirurg konnte uns zu jeder Zeit aufgrund eines Notfalls in den OP rufen. In zwei Wochen musste ich an zwei Wochentagen sowie ein ganzes Wochenende (Freitagabend bis Montagmorgen) Dienst schieben. Dabei wurde ich nur einmal am Samstagmittag wegen einer Appendektomie angerufen.
Arbeitsalltag und Tätigkeiten:
An den allermeisten Tagen assistierte ich als Hakenhalter bei Operationen. Sie begannen um 8:15 Uhr und endeten meist zwischen 18 und 19 Uhr. Einmal blieb ich sogar bis 20 Uhr. Meine Aufgaben erschöpften sich tatsächlich im Hakenhalten und Absaugen. Ferner unterstützte ich die Pflege beim Lagern des Patienten. Ich bekam vor allem zahlreiche Knie- und Hüft-TEPs aus nächster Nähe zu sehen. Es wurden aber selbstverständlich auch einige Frakturen (im Bereich des Radius sowie des Sprung- und Schultergelenks) versorgt.
Da ein belgischer Student einen Teil seines letzten Ausbildungsjahres ebenfalls in der Orthopädie absolviert, wurde meine Hilfe nicht immer benötigt. Deshalb hatte ich gelegentlich Leerlauf. Ich durfte währenddessen Mittagessen oder bei anderen OPs zuschauen. Da der belgische Kommilitone im Studium weiter vorangeschritten war, durfte er neben Hakenhalten gelegentlich auch nähen oder aus einer Knie-TEP einen Nagel ziehen, ein wenig Sägen oder andere kleine Arbeitsschritte übernehmen. Aber nur sehr selten.
An zwei Tagen bat ich, bei der Sprechstunde anwesend zu sein. Da ich zweimal denselben Arzt bat, bekam ich den ganzen Tag nur Kniegelenksbeschwerden zu sehen. Schon nach den ersten drei Stunden begannen sich die Krankheitsbilder und damit auch die Diagnostik und Therapievorschläge zu wiederholen.
An einem Tag begleitete ich einen Assistenzarzt bei der Stationsarbeit. Er musste nur bei vier Patienten allein eine kurze Visite abhalten. Auf der Reha-Station, die wir anschließend besuchten, wurde ebenfalls lediglich ein wenig geplaudert.
Schlussendlich assistierte ich einen Tag lang in der Tagesklinik. Dort sollte ich ebenfalls Haken halten, durfte aber auch selbst einmal nähen.
Lehre, Unterricht, Betreuung:
Es gab keinen Unterricht, in welcher Form auch immer. Gelehrt wird ebenfalls recht wenig. Von sich aus erklärten die Ärzte eher selten etwas. Meine Nachfragen wurden nur kurz und knapp beantwortet. Da alle Ärzte, der belgische Student sowie der OTA aus Flandern stammten, unterhielten sie sich manchmal nur auf Flämisch, so dass ich mich gelegentlich ausgeschlossen fühlte. Ich habe sicherlich sehr viel aus nächster Nähe gesehen, aber mein Wissenserwerb fiel recht mager aus. Ich habe im Wesentlichen steriles Arbeiten gelernt. Das hört sich zwar recht unspektakulär an, jedoch unterlaufen gerade einem Ungeschulten viele Missgeschicke und Leichtsinnsfehler. Die wurden mir ausgemerzt. Es wurden fast keine Röntgen- oder MRT-Bilder mit mir besprochen, über Diagnostik habe ich so gut wie gar nichts gelernt.
Stimmung, Mitarbeiter:
Die Menschen in der Klinik sind durch die Bank unfassbar nett und hilfsbereit und höflich. Bereits an meinem ersten Tag suchte ich etwas ratlos nach dem Sekretariat und dem Internat. Sofort sprachen mich Mitarbeiter an und erklärten mir den Weg. Vier der fünf Ärzte waren ebenfalls sehr gut gelaunte Männer, die mich auf jeden Fehler höflich hinwiesen und mir geduldig erklärten, was ich beachten musste. Mir unterliefen leider einige Unaufmerksamkeiten, jedoch hatte ich nie das Gefühl, das man mir das übelnahm. Lediglich ein Arzt war sehr grumpy und reagierte harsch und laut auf Fehler. Aber sobald man sich bewiesen hatte, konnte man auch mit ihm angenehme Gespräche führen.
Ein Knackpunkt war die Sprache. Ich nahm bei meiner Bewerbung an, dass ich mich auf Deutsch verständigen könnte, da ich mich in Deutschsprachigen Gemeinschaft aufhielt. Pustekuchen. Die DG nämlich liegt innerhalb der wallonischen Region. Deshalb sprachen viele Patienten und Krankenschwestern (nur) Französisch. Aber auch letztere gestikulierten geduldig mit mir, wenn ich etwas erledigen sollte. Die Orthopäden wiederum stammten alle aus Flandern. Sie alle sprachen zwar flüssig Deutsch, jedoch unterhielten sie sich oft, insbesondere wenn auch der Student aus Belgien anwesend war, auf Flämisch.
Freizeit:
Eupen ist mit 20.000 Einwohnern eine kleine, aber schnuckelige Kleinstadt. Die historische Bausubstanz wechselt zwischen Backsteinhäusern und Stadthäusern aus der Gründerzeit, es gibt recht viele Restaurants und Kneipen, überall findet man große Parkanlagen. Die Eifel ist nicht allzu fern, die Stadt beherbergt zwei Museen. Für zwei bis vier Wochen lässt es sich hier gut aushalten, es gibt genügend zu entdecken. Brüssel ist mit der Bahn in weniger als zwei Stunden zu erreichen, auch andere malerische Städte liegen nur wenige Stunden entfernt. Danach holte ich mir in der IT eine elektronische Zugangskarte ab. Damit konnte ich nicht nur jede Tür im Gebäude öffnen, sondern ich konnte von jedem PC aus - egal ob auf Station oder im OP - auf Patientenakten zugreifen. Dafür musste ich die Karte nur kurz gegen einen Scanner halten. Wie toll ist das denn?
Für 10 Euro je Woche darf man im Internat des Wohnheims übernachten. Die Zimmer sind etwa 14qm^2 groß und sind mit Bett, Schrank, Tisch und Waschbecken ausgestattet. Im Internat sind 10 Zimmer, wobei zu meiner Zeit nur 6 davon belegt waren. Zu den Gemeinschaftsflächen gehören eine gut ausgestattete Küche, zwei Bäder und zwei Toiletten. Zweimal die Woche werden alle Zimmer gereinigt.
Als Student darf man kostenlos zu Mittag essen. Es schmeckt sogar recht gut. Außerdem werden mehrere Portionen für den Nachtdienst zur Seite gelegt. Auch hier darf man sich bedienen und als Abendessen warmmachen.
Ich habe mich überaus gut mit meinen Kommilitonen verstanden. Ich fühlte mich wie in einer großen, sympathischen WG, in der nicht über den Putzplan oder nächtlichen Lärm gestritten wird. Sie alle studierten Medizin in Belgien. Zwei stammen aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft, die anderen drei aus Flandern. Die Flamen konnten aber ein recht flüssiges und gut verständliches Deutsch sprechen. Einmal lud uns ein Assistenzarzt zum Fifa-Spielen ein, ein anderes Mal gingen wir alle gemeinsam in eine Bar. Jeden Morgen und Abend fand man in der Küche jemanden zum Unterhalten.
Freizeit:
Eupen ist mit 20.000 Einwohnern eine kleine, aber schnuckelige Kleinstadt. Die historische Bausubstanz wechselt zwischen Backsteinhäusern und Stadthäusern aus der Gründerzeit, es gibt recht viele Restaurants und Kneipen, überall findet man große Parkanlagen. Die Eifel ist nicht allzu fern, die Stadt beherbergt zwei Museen. Für zwei bis vier Wochen lässt es sich hier gut aushalten, es gibt genügend zu entdecken. Brüssel ist mit der Bahn in weniger als zwei Stunden zu erreichen, auch andere malerische Städte liegen nur wenige Stunden entfernt.
Fazit:
Kann ich eine Famulatur in der Orthopädie in dieser Klinik weiterempfehlen? Schwierige Frage. Einerseits ist die Orthopädie ein spannendes und außergewöhnliches Fach. Es wird gesägt, gehämmert, gebohrt wie beim Schreiner. Mit dem Unterschied, dass der Schreiner hoffentlich weniger Blut abbekommt (keine Sorge, man trägt futuristisch anmutende Schutzausrüstung). Leider fiel der Lerneffekt im Hinblick auf medizinische Themen sehr mager aus. Wer wirklich Wissen im Bereich der Orthopädie sich aneignen möchte, ist woanders besser aufgehoben.
Andererseits habe ich doch einiges über die Kultur in unserem Nachbarland gelernt, welches meine Sichtweise auf diverse politische Themen bereichert hat. Ihr werdet euch zwangsläufig mit dem Idenditätskonflikt zwischen Wallonen und Flamen auseinandersetzen. Durch eine Famulatur in Belgien lernt ihr auch ein anderes Gesundheitssystem kennen. Das hilft, gesundheitspolitische Themen differenzierter zu sehen.
Man findet sich in diesem multikulturellen und vielsprachigen Krankenhaus durchaus zurecht, wenn man nur Deutsch und Englisch spricht. Zugegeben: Die Kommunikation mit einigen Pflegern und Patienten ist ohne Französischkenntnisse nicht möglich. Aber für jeden, der seinen Horizont erweitern möchte und aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse nicht in die weite Welt hinaus kann, für den ist Eupen ein Geheimtipp.
Bewerbung
Ich habe sehr kurzfristig, etwa zwei Wochen vor Antritt der Famulatur, eine E-Mail an ortho@hospital-eupen.be verschickt und sie mit ,,Sehr geehrte Damen und Herren'' adressiert. Ich empfehle aber mehr Vorlaufzeit. Es meldete sich prompt das Sekretariat. Sie baten um den Nachweis einer arbeitsmedizinischen Untersuchung. So eine Untersuchung musste ich beim Übertritt in die Klinik durchführen lassen. Zusätzlich fragten Sie nach einer Versicherung, welche meine Universität für mich abschließen sollte. Ich schickte stattdessen den Nachweis einer privaten Berufshaftpflichtversicherung, welche kostenfrei über den Marburger Bund abgeschlossen werden kann.