Ich konnte diesen Frühling nur zwei Wochen Famulatur machen, weil ich relativ spät noch Klausuren hatte. Da dachte ich mir, dass Anästhesie sicherlich eine gute Wahl wäre, weil man da in zwei Wochen sicherlich trotzdem das eine oder andere sehen kann. Diese Vermutung war vollkommen zutreffend. Ich durfte viele Dinge sehen und auch selbst machen. Die ersten beiden Tage bin ich mit dem Chefarzt mitgelaufen, dem ich bei seinen Narkosen zusehen konnte und der mich einige Grundlagen abgefragt hat, um sich ein Bild von mir zu machen. Dr. Tsafoulis ist ein sehr sympathischer und ausgesprochen kompetenter Arzt, von dem man viel lernen kann. Als Chefarzt hat er allerdings auch einige organisatorische Aufgaben und sein Telefon klingelt sehr oft, weshalb er zusätzlich zu diesen Aufgaben und seiner laufenden Narkose nicht immer auch noch unterrichten kann. Das ist aber ja nachvollziehbar. An den weiteren Tagen wurde ich dann immer einem Arzt oder einer Ärztin zugeteilt und wir haben dann zusammen einen OP-Saal betreut. Im OP ist der Ablauf immer der folgende: Der Patient wird von der OP-Schleuse gebracht, die Sicherheitsabfrage wird gemacht und geguckt ob alle Aufklärungen vorliegen, dann leitet man die Narkose ein, bringt den Patienten aus der Einleitungskabine in den OP-Saal, dann muss der Arzt eine ganze Menge Sachen aufschreiben während die OP läuft und man überwacht die Narkose. Nach Abschluss der Operation wird die Narkose ausgeleitet und der Patient in den Aufwachraum gebracht. Dann isst oder trinkt man eine Kleinigkeit, während der Saal wieder aufbereitet wird und alles beginnt von vorne. Je nachdem was für einen Saal man betreut, kann dieser Vorgang sich mehr oder weniger oft wiederholen, so hatten wir einmal in der Gyn eine große explorative Laparotomie, die hat den ganzen Arbeitstag ausgefüllt, ich war aber auch mal einen Tag im URS-Labor der Urologie, wo wir Prostatabiopsien gemacht haben, an diesem Tag haben wir nicht weniger als dreizehn Narkosen gemacht. Wenn man in einem Saal mit langen OPs ist, kann man aber auch mal den Saal wechseln, wenn man das Gefühl hat, dass es hier momentan nichts zu sehen gibt. Fast alle Ärzte lassen einen vieles machen. Natürlich jetzt keine kritischen Sachen, man darf jetzt in der Famulatur keine Spinale stechen, aber ich durfte, zumindest bei Patienten ohne erwartete Schwierigkeiten, ab dem ersten Tag mit dem Laryngoskop in den Hals gucken, und dann hat der Arzt die Intubation gemacht. Nach ein paar Tagen, in denen ich das Handling üben konnte, habe ich eine Patientin laryngoskopiert, bei der der Larynx sehr gut einstellbar war, und da sagte die Ärztin zu mir "Dann intubier sie jetzt". Und nachdem mir das gelungen war, durfte ich regelmäßig, zumindest bei Patienten ohne erwartetes Risiko, selbst intubieren. Wenn jetzt jemand einen schwierigen Mallampati hatte, oder einen hohen BMI, oder lockere Zähne, dann haben sie durchaus auch noch gesagt dass sie das lieber selbst machen würden, aber auch das finde ich ja vollkommen nachvollziehbar, dass man bei einer schwierigen Intubation nicht den Praktikanten werkeln lässt sondern lieber sicher geht. Zugänge durfte ich legen so viel ich wollte (was viel war), und als ich fitter wurde, ging es auch daran, die Beatmung einzustellen. Solange die Oxygenierung gut war, die Kapno und das Minutenvolumen, und ich keine vollkommen abartigen Drücke eingestellt habe, durfte ich unsere Patienten auch selbst beatmen, wodurch ich extrem viel gelernt habe. Ich war vorher völlig aufgeschmissen beim Thema Beatmung, aber ich würde sagen dass ich jetzt, zumindest was die Grundlagen angeht, recht fit bin. Im Prinzip konnte ich, zumindest zum Schluss, als ich schon ein bisschen Durchblick hatte, meine Patienten von der Ein- bis zur Ausleitung selbst betreuen, wobei ich aber immer unter Aufsicht stand, die mir Tipps geben konnte und auch gegebenenfalls eingegriffen hätte, bevor ich einen gravierenden Fehler begangen hätte. Was das Thema operative Anästhesie und Narkose angeht, habe ich unglaublich viel gelernt in diesen zwei Wochen. Allerdings muss man sagen, dass an diesem Haus der Fokus auch sehr auf dieser Säule der Anästhesie liegt, es gibt kein NEF, die Notaufnahme wird nicht standardmäßig von der Anästhesie betreut und die postoperative Schmerztherapie besteht in einem Rundgang, bei dem die Patienten mit Schmerzkatheter oder PCA visitiert werden. Wenn man eher auf sowas abzielt, dann sollte man sich überlegen, an ein größeres Haus zu gehen, wo man mehr Gelegenheiten hat, Notfallmedizin kennen zu lernen. Eine Intensivstation gibt es allerdings, und an einem Tag konnte ich mal auf dieser schnuppern, das ist natürlich eine begrenzte Zeit, aber auch hier wurde ich lieb betreut, durfte die Visite mitmachen, Patienten untersuchen, Beatmung einstellen und beim ZVK-legen assistieren. Ich denke da wäre auf jeden Fall auch Potential gewesen noch mehr mitzunehmen, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte. Man muss allerdings auch sagen, dass zwei Wochen auch eine kurze Zeit sind, in der man natürlich ohnehin nicht alle Aspekte der Anästhesie erfassen kann. Alles in allem hatte ich auf jeden Fall eine tolle und lehrreiche Famulatur, die sich auch für zwei Wochen sehr lohnt. Kann ich jeder und jedem absolut empfehlen. Man sollte, um direkt durchstarten zu können, ein paar Grundlagen drauf haben, aber ich würde nicht sagen dass man vorher lernen muss. Der Anästhesiekurs im zweiten Semester in Gießen ist ausreichend, und ich nehme nicht an dass die anderen Unis keinen vergleichbar guten Anästhesiekurs haben. Wenn dann geht es auch eher um grundlegende Prinzipien, man wird also nicht gefragt wie viel Propofol man pro Kilo Körpergewicht gibt sondern eher warum man das Propofol vor dem Rocuronium gibt. Was man nicht weiß, das bekommt man freundlich und präzise erklärt. Wie schon gesagt, eine durch und durch angenehme und lehrreiche Famulatur.