Ich war in Grabs einen Monat als Anästhesie-Unterassistent tätig.
FamulatInnen gibt es in dieser Form in der Schweiz nicht, man wird hier als "Unterassistent" bezeichnet und ist somit den PJlern rein formell gleichgestellt.
Spital:
Das Spital in Grabs ist ein eher kleineres Spital, das aber ein weites Spektrum an PatientInnen und Fachrichtungen abdeckt. Komplexere Fälle werden meist nach Sankt Gallen verlegt, dennoch bekommt man hier - gerade als "Klinik-Neuling" - echt wanhnsinnig viel zu sehen.
Jeden Tag operiert die Gynäkologie, Viszeralchirurgie und Ortho/Unfall. Mehrmals die Woche sieht man allerdings auch Fälle aus der HNO, Gefässchirurgie, Urologie, Handchirurgie oder Plastischen Chirurgie. Dieses breite Spektrum fand ich toll, da man von der "anderen Seite des Tuches" sehr viel von der jeweiligen Fachrichtung mitbekommt und in der Regel auch genügend Zeit hat, mal kurz bei den OPs zuzusehen.
Das Spital wird aktuell neugebaut, viele Teile sind bereits fertiggestellt. Der OP beispielsweise ist wahnsinnig modern und bietet Tageslicht. Auch ein DaVinci wurde vor Kurzem angeschafft.
Die Anästhesie bietet hier viele verschiedene Narkosen an: Vollnarkosen, Spinalanästhesien, PDAs, vergleichsweise viele Plexus-/Nervenblöcke.
Organisation:
Am ersten Tag meldet man sich am Empfang des Spitals und wird dann von einer zuständigen Person der Anästhesie (meist aus dem Team des super lieben Anästhesie-Sekretariates) abgeholt. Man erledigt alles Formelle und bekommt einen kurzen Rundgang. Als Uhu hat man hier ein eigenes Telefon, Zugang für den PC mit eigener e-Mail und Zugang zum OP-Programm, Namsnschild, usw. Man fühlt sich hier als vollwertiges Mitglied!
Danach wird man der Anästhesie "übergeben" und kann die ersten Tätigkeiten übernehmen.
Auch wurde ich beim Nachmittagsrapport vorgestellt, was sehr entgegenkommend war!
Arbeitsalltag:
Der Arbeitsalltag beginnt um 7:00 mit dem Morgenrapport. Hier wird kurz der Tag besprochen. Man steht als Unterassistent namentlich auf dem OP Plan (die Einteilung erfährt man am Tag davor, dementsprechend kann man sich ein bisschen in die OPs einlesen).
Meistens geht es als Uhu danach gleich in den OP-Saal. Hier kann man der Pflege helfen, die anstehenden Anästhesien vorzubereiten. Generell übernimmt die Anästhesie-Pflege (und die Pflege in der Schweiz generell) viel mehr Verantwortung wie in Deutschland. In der Schweiz können Pflegende Intubieren, Verabreichen eigenständig Medikamente und sind während den Narkosen oft alleine im Saal. Von Ihnen kann man wahnsinnig viel Lernen !!!
Gegen 9 Uhr kann man in den OP-Aufenthaltsraum gehen (oft wird man freundlicherweise auch "geschickt") und kann nochmal Frühstücken. Das Znüni gehört hier zum Arbeitsalltag dazu: Brot, Butter, Marmeladen usw. werden vom Spital gestellt.
Je nach Auslastung kommt man mal früher, mal etwas später, zum Mittagessen. Ich habe mir meist etwas mitgebracht und aufgewärmt (machen viele). Suppe gibt es auch jeden Tag vom Spital. Auch in der Cafeteria hätte man sich jeden Tag etwas zu Essen kaufen können (abgerechnet wird meines Wissens nach Gewicht).
Danach geht man in den eingeteilten OP-Saal zurück.
Um 15:15 ist der Nachmittagsrapport. Hier werden die Fälle des nächsten Tages besprochen. Das ist eine gute Möglichkeit, Patientenvorstellungen zu Üben.
Danach (gegen 16:00) habe ich meist gefragt, ob es noch etwas zu Erledigen gibt, ansonsten wurde man auch oft nach Hause geschickt.
Je einen Tag kann man bei den Sprechstunden zusehen oder auch beim Schmerzdienst mitgehen.
Etwa 2 Mal die Woche gibt es Fortbildungen (zu den diversesten Themen, mal mit allen, mal nur die AssistenzärztInnen). Auch als Uhu kann man hier - je nach Thema - sehr viel mitnehmen.
Tätigkeiten:
Vor allem beim Vorbereiten der PatientInnen kann man als Uhu viel übernehmen. Je nach "Vertrauen" durfte ich manchmal die gesamte Narkose vorbereiten (Medikamente aufziehen, Beatmungsmaschine und Perfusoren einstellen, Zugänge legen, Monitoring anschliessen, Patienten von der Lagerungspflege übernehmen, usw.).
Auch beim Einleiten kann man eigentlich immer mithelfen (Medis Spritzen, Maskenbeatmung, Larynx-Masken legen und auch Intubationen (oder Intubationsversuche...) waren unter Aufsicht oft möglich!)
Während den OPs wird man immer mal wieder gebraucht ("Zieh mal xyz auf", "Bereite schonmal vor", "Häng mal xyz an").
Generell würde ich aber empfehlen, vor allem bei den kürzeren OPs eingeteilt zu werden, da man hier schnell recht viel an Routine entwickelt und viel machen darf. Bei den langen OPs steht man oft da unnd guckt während der OP zu, oder man schaut, ob es in einem anderen Saal etwas zu erledigen gibt).
Pikettdienst hatte ich als Anästhesie-Uhu nicht.
Arbeitsklima:
Das Klima würde ich grundsätzlich als sehr angenehm beschreiben. Man ist in der Regel per du und nach 1-2 Wochen kennt man die meisten.
Von ärztlicher Seite kann man sehr viel lernen. Einige besprechen mit einem Theorie, andere lassen einen super viel praktisch machen, andere geben Tipps fürs Studium. Natürlich kann man bei manchen mehr machen, bei anderen eher weniger.
Manchmal werden Fragen gestellt (oft eher im Rapport "an alle" gerichtet), ich hatte hierbei aber nie das Gefühl, dass es schlimm war, etwas nicht zu wissen. Eine ausführliche Antwort gab es im Anschluss immer vom Chef :). Auch im OP wurde ich teilweise gefragt über Medikamente, Geräte, Atmungsphysiologie, etc. Aber auch hier war das mehr ein Anstoss zum "aktiven Danken". Nie habe ich mich irgendwie blossgestellt gefühlt!
Auch der Kontakt zur Pflege ist grundsätzlich sehr gut. Von ihnen lernt man vor allem viel Praktisches. Manche sind sehr erfahren und erzählen eindrückliche Geschichten, "Lebenstipps", Patientenfälle... Andere sind frisch ausgelernt, auch bei Ihnen kann man viel Lernen (vor allem theoretisch).
Leider gibt es hier 1-2 Ausnahmen. Wenn man mit besagten Anästhesiepflegerinnen eingeteilt wird, muss man wirklich viel einstecken. Von persönlichen Kommentaren, über Anschreien, sinnlosen Kommentare bis zu leider wirklich abwertenden Worte ("welcher Trottel legt denn diese Zugänge heute ?") bekommt man alles zu hören. Schade, vor allem sind die anderen PflegerInnen wirklich super lieb, geduldig und entgegenkommend. In solchen Situationen bekommt man aber grossen Rückhalt von anderen PflegerInnen, dem chirurgischen Team und anderen ÄrztInnen.
Freizeit:
Das Spital Grabs liegt im Rheintal in der Ostschweiz.
Im Winter kommt man von hier schnell nach Graubünden (zum Skifahren, Schlitteln, etc.). Auch in Österreich ist man super schnell.
In St. Gallen ist man in etwa einer Stunde, nach Zürich sind es 1,5-2h.
Auch im Sommer kann man hier super viel unternehmen: Rad Fahren, Bergsteigen, Klettern, laufen, usw.
Leider ist in Grabs als Ort nicht viel los. Wenn man etwas unternehmen will (kulturell oder Ausgang, etc.) muss man eigentlich in die grösseren Städte ausweichen.
Ein Supermarkt ist in Fußlaufweite. Die Bushaltestelle ist direkt vorm Spital und fährt in ca. 5 Minuten zum Bahnhof.
Ein Monats-GA oder zumindestens Halbtax lohnt sich, da man recht viel Zug fahren wird, wenn man was erleben möchte und kein Auto dabei hat.
Unterkunft:
Man kann im Personalwohnheim für 370 Franken (plus einmalige Endreinigung) unterkommen.
Leider wurde das alte Haus (Haus Zindel) meines Wissens abgerissen. Aktuell stehen nur wenige Zimmer im Verwaltungsbau des Spitals zur Verfügung. Auch sind dort - eine Etage höher - die Pikettzimmer.
Die Zimmer sind super hellhörig und die Küche sehr spärlich ausgestattet. Töpfe, Pfannen, etc sind zwar vorhanden, einen Ofen oder ein Gefrierfach gibt es aber nicht. Auch die Kühlschrankfächer sind sehr klein. Diese Zimmer hier sind nicht super schön, aber sehr praktisch. Meist wohnen hier 3-5 Uhus. Gemeinschaftsflächen werden wöchentlich gereinigt.
Leider musste ich die ersten Tage in Altstätten unterkommen (hier ist noch ein zweites Spital, dass ebenfalls zum Klinikverbund gehört), da die Personalzimmer-Situation aktuell sehr sehr knapp ist. Das heisst, ich musste täglich eine Stunde (einfacher Weg) pendeln.
Dementsprechend sollte man ein Personalzimmer möglichst früh anfragen!
Zusammenfassend also ein super Monat. Man bekommt viele Eindrücke, lernt viel (theoretisch wie auch praktisch) und ist zudem echter Bestandteil eines grösstenteils super lieben Teams. Die Anästhesie in Grabs ist super vielseitig und lehrreich, wer allerdings Kardioanästhesie o.ä. sucht, sollte sich ein grösseres Haus suchen. Ob man in Grabs tag und nacht verbringen möchte muss man für sich selbst entscheiden. Als Ausgangspunkt für viele Unternehmungen ist der Ort jedenfalls gut gelegen.
Danke an der Stelle an alle, die den Monat zu dem gemacht haben, wie er für mich war :)
Bewerbung
Je früher desto besser, oder: Ganz spontan.
Ausserdem anfragen, ob FamulantInnen überhaupt genommen werden, oft (zB. in St. Gallen teilweise) werden explizit nur "StudentInnen im letzten Jahr" gesucht).